Solidarische Praxis in der Linksjugend stärken!
Die gesellschaftliche Linke hat sich in den letzten Jahren immer stärker von unmittelbaren Anliegen der Lohnabhängigen entfernt. Wie können wir als Linksjugend solidarisch nach vorne schauen?
Zur ersten Tagung des XVII. Bundeskongress stellt das Marxistische Netzwerk gemeinsam mit den Delegationen der Länder Bayern, Thüringen und Nordrhein-Westfalen den folgenden Antrag.
Im letzten Jahr haben sich viele Basisgruppen wieder aktiviert oder neu gegründet. Viele Landesebenen gehen gestärkt aus dem letzten Jahr hervor.
In unserem Jugendverband versammeln sich Mitglieder mit verschiedenen sozialistischen Positionen und Ansätzen. Wir organisieren uns zusammen als Schüler:innen, Studierende, Auszubildende, Arbeitslose und schwerpunktmäßig Lohnarbeitende. Viele unserer Mitglieder sind in Armut mit Hartz IV und/oder bei alleinerziehenden Eltern aufgewachsen. Wir setzen uns zusammen für ein gutes Leben für alle ein.
Fehler eingestehen
Die gesellschaftliche Linke hat sich in den letzten Jahren immer stärker von unmittelbaren Anliegen der Lohnabhängigen entfernt. Natürlich gibt es auch junge Gegenbeispiele wie zugenommene Arbeitskämpfe und Deutsche Wohnen & Co. enteignen. Die bundesweite Linke hat allerdings keine Strategie dagegen verfolgt, dass die Mieten angehoben werden und der Reallohn sinkt. Stattdessen hat sie oft nur Forderungen aufgestellt oder hat sich auf Abwehrkämpfe gegen Nazis konzentriert. Sie hat sich nicht effektiv gegen steigende Mieten und Reallohnverlust organisiert.
Weil wir an den Aufbau einer starken Arbeiter:innenbewegung glauben, bedauern wir diese Fehler. Schauen wir uns andere Organisationen an, welche stark verankert sind in der breiten Bevölkerung, fällt auf, dass sie in ihrer Praxis vor Ort einen starken Fokus auf solidarische Praxis legen. Ein Beispiel dafür sind die Gesundheitszentren der Partei der Arbeit (PTB/PVDA) in Belgien. Ein anderes Beispiel sind die Sozialberatungen der KPÖ in Österreich oder auch die Unterstützung von Hausarbeit, Einsetzen gegen Ungleichbehandlung von Frauen und Pflege von persönlichem Kontakt der DEM Parti in Nordkurdistan.
Wir müssen anerkennen, dass wir noch zu wenig sprechfähig zu konkreten sozialen Anliegen sind. Hier in Deutschland sind angehobene Mieten für Studierende und Azubis das, was ihre Lebensqualität senkt. Das möchten wir im nächsten Jahr ändern. Das Ganze darf aber nicht Mittel zum Zweck bleiben, sondern es ist wichtig, dass wir dabei Spaß haben und uns gegenseitig unterstützen.
Wir wollen sprechfähig zu konkreten sozialen Anliegen werden!
Die Verbandsumfrage hat gezeigt, dass für alle Mitglieder soziale Gerechtigkeit das Thema mit erster Priorität ist. Oft sagen wir, dass wir weniger akademisch sein wollen. Es ist keine solidarische Praxis, sich darüber zu beschweren, ohne zu überlegen, was Leute daran hindert, aktiv zu werden und was wir daran ändern können. Außerdem vermittelt das denjenigen, die nicht studieren und die nicht aus einem akademischen Haushalt kommen (verschiedene Dinge, insbesondere bei uns im Verband!), dass sie allein sind. Oft wird überlegt, dann weniger Bildung zu machen und dabei Leuten Dummheit unterstellt und der befreiende Charakter von Bildung unterschlagen. Stattdessen wollen wir stärker in die Stadtteile gehen, an denen prekäre Jugendliche vor allem leben.
Genug mit der Meckerei. Stattdessen möchten wir es angehen: Wir wollen an die Orte in der Stadt gehen, an der Leute von der Politik alleingelassen werden. Wir wollen Klassenanliegen in den Fokus unserer Praxis und Öffentlichkeitsarbeit stellen. Dabei setzen wir uns dagegen ein, dass Lohnabhängige je nach Geschlecht, Rassismuserfahrung oder Arbeitssituation gegeneinander ausgespielt werden. Anderes wäre untragbar als sozialistische Organisation.
Solidarisches Miteinander fängt aber schon im alltäglichen Miteinander in der Basisgruppe an: Wir möchten in den Basisgruppen wieder stärker normalisieren, dass man sich gegenseitig hilft - wer sich grad kein Getränk fürs nette Beisammensein nach dem Plenum oder kein Ticket für den Zug zur Demo in der Nachbarstadt leisten kann, dem bezahlt das jemand, der es sich grad leisten kann. Das ist kein Gönnertum, sondern sollte selbstverständlich sein. Wir alle wollen in Armut lebende Mitglieder ermutigen, die Rückerstattung schnell einzufordern oder bei Buchungsanfragen ihre Lage mit zu erwähnen. Dem muss dann nachgekommen werden. Armut darf in einem sozialistischen Verband kein Tabu sein.
Warum brauchen wir solidarische Praxis?
Solidarische Praxis sollte nicht als karitative Arbeit oder Selbstzweck verstanden werden. Wichtig ist sie besonders aus 5 Gründen:
- Mit solidarischer Praxis können wir langfristig Vertrauen schaffen, dass wir als Sozialist:innen für die Interessen von Arbeiter:innen einstehen. Außerdem erzeugen wir einen positiven Bezug zu linker Politik und können so negative Stereotype abbauen.
- Solidarische Praxis erzeugt Erfahrungen, die es für Menschen greifbar macht, dass Gesellschaft anders und abseits von Profit organisiert werden kann. Dies ist unbedingt notwendig, um Gesellschaft hin zu einer sozialistischen Alternative zu transformieren,
- Solidarische Praxis erzeugt für uns wertvolle Einsichten in die alltäglichen Probleme, die für uns als Basis für inhaltliche und strategische Überlegungen dienen können.
- Solidarische Praxis verbessert konkret die Lebenslage von Menschen.
- Solidarische Praxis ist auch für die eigene Gruppenaktivierung förderlich, da sie anschaulich zeigt, dass aktiv sein über langatmige Diskussionen hinausgeht.
Solidarische Hilfe
Im letzten Jahr hat sich herauskristallisiert, dass immer mehr unserer Basisgruppen solidarische Praxis vor Ort wie z.B. Küche für alle anbieten. Gleichzeitig bauen einzelne Basisgruppen Nachhilfestrukturen auf. In der Linkspartei versuchen Aktive in Die Linke Hilft, solidarische Hilfe zu verstetigen. Andere Basisgruppen veranstalten kostenlose Filmabende oder Solipartys, um der kommerzialisierten Kulturbranche mit einem solidarischen Miteinander und einer guten Zeit entgegenzuwirken. Diese Praxis ist uns tatsächlich eingeschrieben als Tradition, beschreibt unsere Satzung unsere Praxis u.a. als “kulturelle Offensive von links”. Wie sonst wollen wir Leuten Hoffnung vermitteln, wenn ihre Lebensrealität alles andere als hoffnungsvoll ist?
Da wir ein Jugendverband sind, bietet sich an, angepasst an unsere Lebensrealität als Jugendliche und junge Menschen solidarische Praxis aufzubauen. Es ist offen, wie wir genau diese Praxis verankern wollen und welche Praxis wir genauer festhalten wollen.
Während diese einzelnen Praxisbeispiele zeigen, dass es den Willen gibt, solidarische Praxis aufzubauen, möchten wir uns Eckpunkte festhalten. Hilfsangebote sollen regelmäßig, zuverlässig, öffentlich gut beworben (vor Ort und in Social Media) und lokal angebunden stattfinden. Ist das nicht der Fall, sind Interessierte abgeschreckt oder wenden sich ab.
Daher sind Basisgruppen dazu angehalten,
- ihre Gruppenstruktur und Stadtteile genau zu analysieren hinsichtlich Skills, Interessen und Kapazitäten,
- einen Fokus zu setzen (auf einen konkreten Platz oder Zone im Stadtteil, auf die Art von Praxis, …) und
- sich entsprechend ein realistisches und überprüfbares Konzept vor Ort zu überlegen und es auszuprobieren.
Niemandem ist geholfen, wenn sich die Basisgruppen nicht an ihr eigenes Konzept halten. Daher ist es besser, im Kleinen zu starten.
Um eine neue Strategie schlagkräftig und gemeinsam umsetzen zu können, müssen wir erst Ansätze ausprobieren und Wissen und Erfahrung und Kritik dazu sammeln. Auf dem nächsten Bundeskongress prüfen wir unsere Erfahrungen und stimmen über eine Strategie zur solidarischen Praxis in der Linksjugend ab.
Auftrag für das nächste Jahr
Deshalb…
- sind alle Basisgruppen aufgerufen, in ihren Basisgruppen Hilfsangebote auszuprobieren und sie regelmäßig zu evaluieren.
- sind Landessprecher:innenräte aufgerufen, auf Landesebene Orte des Austauschs darüber bereitzustellen.
- ist der Bundessprecher:innenrat beauftragt, auf Bundesebene Weiterbildung dazu zu koordinieren.
- ist der Bundessprecher:innenrat beauftragt, auf Bundesebene Öffentlichkeitsarbeit zu konkreten sozialen Anliegen zu koordinieren &
- ist der Bundessprecher:innenrat beauftragt, in engem Kontakt mit Landessprecher:innenräten eine Bestandsaufnahme zu machen und dem Verband zugänglich machen (Kriterien: a) Was findet an Angeboten statt, b) welche Angebote liefen gut & welche eher nicht und c) woran hat das gelegen).Vor der Teilnahme an solchen Aktionen müssen sich die Planenden bei dem Bundessprecher:innenrat melden, um die Finanzierung besser planen zu können und im Vorhinein zu klären, ob die Aktion in den Rahmen der Unterstützung fällt. Der Bundessprecher:innenrat definiert weitere Aktionsformen.